Nicht die Getroffenen schreien

Die Bonnerin Roxanne Merkl wird beim Weltcup der Juniorinnen im Florettfechten in Waldkirch Zweite

FLORETTFECHTEN. Zur Ausbildung zum Schauspieler gehört auch das Schreien. Auf Kommando weinen können viele; richtig schreien, inbrünstig, aus vollem Rohr sozusagen, nur die wenigsten. In Waldkirch jedenfalls weiß man jetzt wie das geht. Anhörungsunterricht hat es am Sonntag in der Kastelberghalle gegeben – nur diesmal beim Fechten.

„Erfolg verändert den Menschen nicht. Er entlarvt ihn“, hat einst Max Frisch gesagt. Der Mann war klug genug zu wissen, wovon er sprach. Das Fechten könnte als Beleg für Frischs These dienen: Just beim Höhepunkt des Gefechts, dem Treffer, durchbohrt das wahre Ich die Fassade, lässt sie bröckeln und tritt für Sekundenbruchteile ans Licht. Ein Schrei ertönt und verstummt wieder.

Der Sonntag in der Waldkircher Kastelberghalle ist voller Schreie. Junge Frauen im Alter zwischen 17 und 20 Jahren fechten mit dem Florett um Weltcup-Punkte. Schon zum 27. Mal in Waldkirch; dort, wo eigentlich eher georgelt wird. Überhaupt ist dieser Sport für das Auge allein schwer zu fassen. Das Gehör ist in dieser Sportart fast schon wichtiger geworden. Blitzschnell fuchteln die Akteurinnen mit ihren Klingen durch die Luft, versuchen ihre Gegnerin am Rumpf zu pieksen. Es klimpert und rasselt, faucht und peitscht – bis schließlich eine trifft und schreit. Das allein macht stutzig: Während früher beim Kampf mit scharfen Waffen nur der Getroffene brüllte, und das meist wie am Spieß, wurden im modernen Sport die Rollen vertauscht. Doch das ist gut so!

Peter Riedl, der Sportwart des südbadischen Fechterbundes, meint jedenfalls, es gehöre zu diesem Sport, den Urinstinkten freien Lauf zu lassen. Er erklärt, dass man mit dem Treffer schreie, um die letzte Energie zu bündeln. „Man ist als Sportler ja sehr energiegeladen“, erzählt er, der früher selbst auf den Planchen stand.

Roxanne Merkl johlt, keift und schreit auch. Aber das darf sie auch, immerhin ist sie die erfolgreichste Deutsche an diesem Nachmittag. Die 18-Jährige aus Bonn übersteht im Gegensatz zu ihren Mitstreiterinnen Runde um Runde und wird am Ende Zweite. Zuvor erlebt das deutsche Team ein Debakel: Alle Hoffnungsträgerinnen des deutschen Teams scheiden schon im ersten Durchgang aus. Viola Haenlein scheitert im ersten Gefecht an einer Polin, Sandra Bingenheimer tut es ihr gleich. Merkl hingegen kämpft, ackert und zieht weiter; knapp zwar, aber bestimmt. Doch die Anstrengung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Bereits im Achtelfinale verständigt sie ihren Trainer, dass sie nicht mehr kann, um dann doch den entscheidenden Treffer zu setzen. Angespannt wirkt sie auch danach, doch mit viel Mühe arbeitet sie sich ins Finale vor. Ihr Trainer Frank Höltje weiß da aber schon, dass dies gegen die starken Russinnen „sehr schwierig“ werden wird.

Und behält Recht: Bis zum Stand von 11:11 ist Merkl eine ebenbürtige Gegnerin, am Ende gewinnt aber doch die Russin Diana Jakowlewa den Weltcup in Waldkirch mit 15:11. Trotzdem ist Bundestrainer Sven Todt zufrieden: „Eine sehr gute Leistung von Roxa. Und das, obwohl es in dieser Saison bisher nicht so gut gelaufen ist.“ Auf jeden Fall sei sie im April in der Türkei dabei. Dann geht es nämlich um den Weltmeistertitel. Bis dahin wird es nur noch einmal in Lyon, beim letzten Weltcup vor der WM, laut werden. Bis dahin allerdings wird Ruhe einkehren. Zur Entlarvung gehört ja auch immer die Verpuppung.

Von unserem Mitarbeiter Andreas Frey